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Ein Herzfehler und seine Folgen




"Sie verwöhnen ihr Kind zu sehr, es ist wichtig, die Kinder auch etwas zu frustrieren."


Im Frühling 1998 war ich endlich schwanger! Nach über 2 Jahren Kinderwunsch hatte es endlich geklappt! Ich war überglücklich und die neun Monate vergingen ohne Probleme und wie im Flug. Im November kam dann unsere Tochter zur Welt. Sie wurde als gesundes Kind aus dem Krankenhaus entlassen.

Als sie sechs Wochen alt war - kurz vor Weihnachten - hörte der Kinderarzt bei einer Routineuntersuchung ein Herzgeräusch. Da meine Tochter aber keinerlei Beschwerden hatte, machte ich mir keine Sorgen und verschob die Ultraschallkontrolle bis nach Weihnachten. Außerdem hatte unser Hausarzt beim Abhorchen nichts gehört. Als ich am 28. Dezember im Kinderkrankenhaus vorstellig wurde, erwartete mich eine schockierende Nachricht: Mein Kind hatte einen Herzfehler (Aortenisthmusstenose), der sofort operiert werden musste. Wir durften gar nicht mehr heim und wurden sofort in ein spezielles Krankenhaus verlegt. Dort erwartete mich am Abend der nächste Schock: Meine Tochter hatte nicht nur einen Herzfehler, sondern auch eine Fistel am Darmausgang (Analatresie), "die man später auch operieren" müsse.

Ich fühlte mich, als wäre ich im falschen Film. Gestern noch hatte ich eine offenbar gesunde Tochter und heute... Warum hatte denn bisher niemand etwas von der Darmfistel bemerkt? Am nächsten Tag ging es los mit den ganzen Untersuchungen und am Tag darauf war die Herzoperation. Die Operation dauerte länger als geplant und im Anschluss daran wurde mir gesagt, dass es Probleme gegeben habe, aber alles gut gelaufen sei. Ich wusste aber schon zu diesem Zeitpunkt, dass das nicht stimmt, redete mir aber das Gegenteil ein. Meine Befürchtungen bestätigten sich bald: Meine Tochter bekam ein akutes Nierenversagen, musste zurück auf die Intensivstation und bald war von Dialyse die Rede. Außerdem fiel mir auf, dass sie ihre Beine nicht mehr bewegte. Von den Ärzten wurde ich aber immer vertröstet: Das wird schon. Die schreckliche Wahrheit ihrer Querschnittlähmung eröffnete man mir erst, als die Nieren wieder in Ordnung waren. Bei der Entlassung wusste ich, dass mein Kind noch eine Herzoperation und eine Operation der Darmfistel benötigen würde. Über den weiteren Verlauf der Lähmung wurde ich im Unklaren gelassen. Nach zwei Wochen durften wir also über das Wochenende heim! Ich konnte meine kleine Tochter endlich wieder stillen und wünschte alle Ärzte zum Teufel.

Am Montag sollten wir für eine weitere Woche in das Kinderkrankenhaus, wo die Diagnose des Herzfehlers gestellt wurde. Dort begann ein Nervenkrieg: Der leitende Primar war offensichtlich ausgesprochen daran interessiert, dass ich nicht einmal auf den Gedanken kam, jemand hätte bei der Herzoperation einen Fehler gemacht. Er bombardierte mich mit diversen Anzeichen eines Syndroms, das meine Tochter hätte. Demnach wäre die Querschnittlähmung angeboren und auch die Analatresie passte ihm sehr gut in dieses Bild. Da dieses Syndrom (VACTERL) aber insgesamt sieben Symptome umfasst und auch nicht eindeutig diagnostiziert werden kann, interessierte ihn dabei nicht. Er sagte mir, ich solle mich darauf einstellen, dass das Kind nie laufen können wird und außerdem einen künstlichen Darmausgang braucht. Damals begriff ich aber gar nicht, was er mit seinen Ausführungen, die er mir immer nur darlegte, wenn ich mit ihm allein war, bezwecken wollte. Der Höhepunkt war, dass er mir sagte, ich solle doch froh sein, dass mein Kind überhaupt noch lebt. Außerdem solle ich mir überlegen, was ich denn in der Schwangerschaft gemacht hätte, denn "solche Sachen passieren in den ersten sechs Wochen". Nach einer Woche war ich noch mehr fix und fertig und nah am Suizid. Da erklärte mir also jemand, der das Kind vor der Herzoperation untersucht hatte, die Lähmung wäre angeboren und außerdem wäre ich durch mein Verhalten in der Schwangerschaft selbst schuld an der Behinderung meiner Tochter! Und das, wo meine Tochter doch das absolute Wunschkind war und ich mir das Hirn zermarterte, was ich denn falsch gemacht haben könnte (aber bis heute nichts gefunden habe).

Er schickte uns also heim. Ich nahm meine Umgebung nur mehr wie durch einen Schleier wahr. Das durfte doch alles nicht wahr sein! War denn die ganze Welt verrückt geworden? Noch dazu war sich auf einmal auch meine Umgebung nicht mehr sicher, ob das Kind denn überhaupt gestrampelt habe. (Wenn das nämlich ein Arzt behauptet, wer würde denn da zu widersprechen wagen?). Ich hatte aber Gott sei Dank Videos und Fotos von den ersten sechs Wochen meiner Tochter, was mich wahrscheinlich davor bewahrte, ganz den Verstand zu verlieren.

Bald begannen diverse Therapien. Und da in dem Ambulatorium noch niemals jemand ein querschnittgelähmtes Kind gesehen hatte, verliefen auch hier die ersten Wochen ziemlich chaotisch. Dazu kam, dass meine Tochter fast nicht schlief und fast nur schrie, was mich an den Rand meiner Kräfte gebracht hätte, wäre ich nicht schon dort gewesen. Von meinem Lebensgefährten nahm ich in dieser Zeit gerade mal seine Anwesenheit wahr. Wir konnten uns keine Stütze sein, dazu war jeder zu sehr mit seinem Schmerz beschäftigt. Innerhalb kürzester Zeit (einige Wochen) entwickelte meine Tochter eine starke Hüftbeugerkontraktur, die dazu führte, dass sie weder am Rücken noch am Bauch liegen konnte. In Rückenlage lagen ihre Füße neben dem Kopf. Sie wollte nur getragen werden, was eine Ärztin so kommentierte: "Sie verwöhnen ihr Kind zu sehr, es ist wichtig, die Kinder auch etwas zu frustrieren." Zu ihrem andauernden Schreien musste ich mir anhören, dass ich eben "zu nervös" wäre. Konstruktive Vorschläge zu ihren Hüften oder zu ihrem (nicht vorhandenen) Schlafrhythmus bekam ich keine. Aus der ganzen Familie und von allen Freunden war keine Hilfe zu erwarten. Ich solle mir mein Kind doch selber aufziehen, bekam ich zu hören, wenn ich um eine Stunde Hilfe pro Tag bat.

Nach einem halben Jahr stand die zweite Herzoperation (Herzkatheder) an. Sie ging zum Glück gut. Die Krankengymnastik zeitigte allerdings überhaupt keinen Erfolg. So verging das erste Jahr. Mit fast einem Jahr fand das Kind endlich einen Schlafrhythmus. Mit 1 ½ Jahren wurde ihre Analatresie operiert. Nun wurde mir offenbart, dass meine Tochter eine neurogene Blase habe und ich sie fünf Mal am Tag katheterisieren müsse, was ich entsetzt verweigerte. Mir reichte es und als wir im Sommer auf Urlaub fuhren, ging es mir zum ersten Mal wieder halbwegs gut. Als wir allerdings nach Hause kamen, kam die nächste Operation. Diesmal waren die Hüftbeuger dran. Nach drei Wochen Gips konnte sie wenigstens am Bauch liegen. Sonst konnte sie allerdings nichts. Sie konnte sich nicht umdrehen, von sitzen oder krabbeln war gar keine Rede.

Aber mein Lebensgefährte und ich hatten sich wenigstens schon so weit "regeneriert", dass wir einen Fehler bei der Herzoperation in Erwägung zogen. Also suchten wir den Patientenanwalt auf. Dieser schmiss uns aber gleich wieder hinaus. Was würden wir uns eigentlich einbilden, auch sein Enkelkind sei von diesem Chirurgen operiert worden "und der sei schließlich kein Stümper". Also gut. Wir nahmen uns privat einen Anwalt, der uns ein kleines Vermögen gekostet hat. Aber alles, was er zu Stande brachte, war eine Verlängerung der Verjährungsfrist. Denn ein medizinischer Schadensfall verjährt nach drei Jahren, außer man bringt eine Klage ein. Und das kann man nur, wenn man ein Gutachten hat. Fragt sich nur, wo man eines bekommt. Die Versicherung des Krankenhauses beauftragte schließlich einen Gutachter, der nach einem guten halben Jahr schrieb, dass die Operation gut verlaufen sei. Die Lähmung wäre ein "schicksalhaftes Ereignis". Pech gehabt, also. Als wir uns die Einsichtnahme in sämtliche medizinische Unterlagen erkämpft hatten und sie durchsahen, stellten wir verwundert fest, dass es bei der Operation einen Stromausfall gegeben hatte. Doch das brachte uns auch nichts, denn der Gutachten behauptete in einem Ergänzungsgutachten, dass das keine Auswirkung gehabt habe. Nach gut zwei Jahren verweigerte unser Anwalt jede weitere Bearbeitung dieses Falls und schloss den Akt.

Ich bemühte mich immer noch verzweifelt um ein Gutachten. Aber mir konnte keiner sagen, wo ich eines bekommen sollte. Das mit dem Stromausfall wollte mir nicht aus dem Kopf. Ein Neurologe, den ich mit meiner Tochter aufsuchte, erklärte mir schließlich ungewollt, warum ich bei meinen Bemühungen keinen Erfolg haben konnte: Er sagte mir, dass er kein Gutachten schreiben könne, in dem er einen Kollegen belaste, da er sonst "Schwierigkeiten mit der Ärztekammer" bekäme. Also Mafiamethoden. Die verlängerte Verjährungsfrist neigte sich wieder einmal dem Ende zu und ich konnte immer noch nichts machen. Schließlich setzte ich mich in einem letzten Akt der Verzweiflung zum Internet und fand einen deutschen Gutachter, der bereit war, sich die Sache anzusehen. Daraufhin bekniete ich nochmals unseren Rechtsanwalt, die Verjährungsfrist ein letztes Mal zu verlängern. Das Gutachten aus Deutschland kam überraschend schnell. Sein Inhalt war aber noch überraschender: Es würde sich nämlich um einen Fehler der Anästhesie handeln. Der Blutdruck in der unteren Körperhälfte wäre nicht gemessen worden, wodurch ein massiver Blutdruckabfall unbemerkt geblieben und zu einer Schädigung des Rückenmarks geführt habe. Oder aber es wäre der Dokumentationspflicht nicht nachgekommen worden. Man kann sich das natürlich auch so zusammenreimen: Der Blutdruckabfall war im Nachhinein vertuscht worden... Ich hatte endlich etwas in der Hand! Umgehend wechselte ich den Rechtsanwalt. Momentan ist unser neuer Anwalt leicht positiv gestimmt, dass er für unser Kind doch etwas herausholen kann. Die Versicherung sieht sich gerade das deutsche Gutachten an. Hoffen wir das Beste!

Zu den Fortschritten meiner Tochter: Obwohl es ihr in Österreich kein Arzt oder Therapeut zugetraut hätte, erlernte sie das freie Sitzen. Katheterisiert wird sie bis heute nicht. Momentan zieht sie sich an Möbeln zum Stehen hoch und wir üben fleißig, mit Anhalten zu gehen. Sie hat also große Fortschritte gemacht. Der größte Erfolg ist allerdings, dass sie ein fröhliches, kontaktfreudiges kleines Mädchen ist. Mit ihrer Behinderung kommen wir gut zurecht.

Nicht zurecht komme ich aber bis heute mit der Ärzteschaft. Da werden Fehler gemacht und anstatt sie zuzugeben und einem kleinen Kind und seinen Eltern so viel als möglich zu helfen, wird paktiert, vertuscht und gelogen, dass sich die Balken biegen. Der geschädigte Patient wird im Regen stehen gelassen. Nur wenn er neben dem Leid und den Problemen, die ihm der Pfusch der Ärzte beschert haben, auch noch die Kraft findet, sich dagegen aufzulehnen, hat er vielleicht eine Chance. Von den meisten Ärzte wird alles getan, um ihnen diesen Weg so schwer als möglich zu machen. Es gibt meines Wissens keine offizielle Liste von auf Ärztefehler spezialisierten Rechtsanwälten und auch keine Liste von speziellen Gutachtern. Es ist also reine Glückssache, an wen man kommt. Auch die Patientenanwaltschaft scheint nach unseren Erfahrungen nicht für den Patienten, sondern für die Ärzte zu arbeiten.

Trotzdem werden wir nicht aufgeben. Wir werden weiter für Schadenersatz und für die beste Therapie für unsere Tochter kämpfen. Das sind wir unserer Kleinen schuldig!


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