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Privates Netzwerk Medizingeschädigter - Opfer
Die letzten 19 Tage des Patienten W. Hier die Kurzfassung der Geschichte: 1. Oktober 2002 Irgendwas ist nach der Operation in der Klinik in R passiert! Die einzige logische Erklärung ist im nachhinein die, dass man versucht hat, ihm einen Schlauch durch die Nase oder den Mund zu führen, um ihn künstlich zu ernähren. Er hatte in der Vergangenheit oft darüber gesprochen, dass er für sich jede Art von künstlicher Ernährung ablehnt. Samstag, den 12. Oktober 2002 Meine Mutter ruft mich am Morgen an und berichtet mir von der Situation, in der mein Vater sich befindet. Ich fahre mit ihr in die Klinik und sehe zum ersten Mal, was der Begriff "Fixierung eines Patienten" bedeutet: Mein Vater liegt an den Hand- und Fußgelenken gefesselt und mit einem breiten, stramm gezogenen Bauchgurt im Bett. Er ist in diesem Zustand noch nicht einmal in der Lage, sich die juckende Nase zu reiben, eine lästige Fliege zu verscheuchen oder gar sich einer nicht gewollten Behandlung zu erwehren. Im strafrechtlichen Sprachgebrauch dürfte es dafür den Begriff "absolute Freiheitsberaubung" geben. Er hat einen Schlauch in der Nase, ist gewindelt und an seinem Bett hängt ein Beutel, in dem über einen Blasenkatheter sein Urin aufgefangen wird. Darüber hinaus hängen rechts und links vom Bett Geräte, die ihn mit Flüssigkeiten versorgen und seinen Puls und Blutdruck messen. Mein Vater ist bei vollem Bewusstsein, als ich hereinkomme. Er spricht ständig auf mich ein, so, als wolle er mir über die Geschehnisse der letzte Tage berichten. Leider ist er aber auch bei vollster Konzentration nicht zu verstehen. Zwischendurch taucht er immer wieder ab und zerrt ruckartig aber kraftlos an den Fesseln. Die Außenflächen seiner Hände sind blau angelaufen. Anscheinend hat er immer wieder gegen die Bettgitter geschlagen. Ich will umgehend den zuständigen Arzt sprechen, der auch nach ca. zehn Minuten eintrifft. Auf meine Frage, warum mein Vater gefesselt ist, sagt er, dass dies zu seinem eigenen Schutz sei, da er sich immer wieder den Schlauch aus der Nase ziehen würde. Daraufhin zeige ich ihm die Verfügung meines Vaters, in der er unmissverständlich solche Behandlungsmethoden ablehnt. Ich verlange, dass meinem Vater unverzüglich die Fesseln abgenommen werden und dass ihm der Schlauch entfernt wird. Aber erst durch Drohungen, die Presse zu informieren, erreiche ich, dass er wenigsten den Chefarzt zu Hause anruft, der auch sofort in die Klinik kommt. Auch diesem gebe ich die Patientenverfügung zu lesen. Er ist überrascht von der klaren Aussage, dass mein Vater nie mehr in eine Klinik wollte und kompromisslos jede künstliche Ernährung ablehnt. Als ich ihn frage, warum man meinen Vater ausgerechnet hierher in eine psychiatrische Anstalt verlegt hat, behauptet er, dass sein Kollege in S, wohin mein Vater ursprünglich nach der Operation zurück verlegt werden sollte, ihn angerufen und gebeten habe, den Patienten zu übernehmen, da er in seinem Haus kein Bett frei hätte. Dann verlange ich nochmals, meinem Vater die Fesseln abzunehmen und, wenn es keine andere Möglichkeit der Lebenserhaltung mehr gibt, die künstliche Ernährung zu beenden. Denn es steht ebenfalls in der Verfügung: "Der Arzt soll mir das Sterben erleichtern, indem er mich in ein künstliches Koma versetzt." Nun kommt allerdings der übliche Einwand der Ärzte, wenn es um Sterbehilfe geht: "Wir dürfen die künstliche Ernährung nicht absetzen, denn dies wäre aktive Sterbehilfe und wir würden uns strafbar machen." Er lässt meinen Vater bis auf den Bauchgurt losbinden. Der Nasenschlauch wird durch einen ZVK (Zentraler Venen Katheder) ersetzt. "Wir müssen damit rechnen, dass Ihr Vater eine Lungenentzündung bekommt, die wir dann aber nicht mehr behandeln werden. "Auf die Frage, warum man ihm nicht den engen Bauchgurt abgenommen hat: "Das mit dem Bauchgurt ist zum Schutz der Schwestern vor strafrechtlichen Maßnahmen - falls der Patient aus dem Bett fällt und sich verletzt." Dabei ist mein Vater so schwach, dass er sich ohne Hilfe nicht einmal auf die Seite drehen kann und er müsste praktisch über die seitlichen Gitter springen. Am Wochenende finde ich keinen Schlaf. Warum hat man ihn in die Klapsmühle gebracht? Klar - er musste davon ausgehen, dass man seine Verfügung gelesen hatte. Und trotzdem wollte man ihm irgendwelche Schläuche einschieben! Als letzte Defensivwaffe hatte er seine Zähne, denn richtig sprechen konnte er nach der OP noch nicht. Hat man ihn deswegen sofort für psychisch krank erklärt? Und was haben sie mit meinem Vater in der Psychiatrischen vor? Wollen sie ihn als pflegeleichte Geldmaschine monate- oder gar jahrelang dahinsiechen lassen? Mein Entschluss steht in der Nacht zum Montag fest. Ich werde meinen Vater da rausholen! Montag, den 14. Oktober 2002 Um zehn rufe ich den Chefarzt an und sage ihm, dass wir Vater zum sterben nach Hause holen wollen, denn es war sein Wille, zu Hause zu sterben. Es ist die Hoffnung dahinter, dass man ihn in seiner häuslichen Umgebung vielleicht doch wieder hochpäppeln kann. Immerhin machte er nach der OP den Eindruck, dass er mit Hilfe seiner Frau und einem häuslichen Pflegedienst ohne weiteres wieder völlig gesund werden könnte. Warum hat man meine Mutter damals nicht gefragt, ob sie ihren Mann zu Hause gesund pflegen will, wo er doch auf dem besten Wege zur Genesung war? Gibt es eine finanziell begründete Konkurrenz zwischen Kliniken und ambulanten Pflegediensten? Der Arzt äußert diese und jene Bedenken gegen die Entlassung, willigt aber ob meiner Hartnäckigkeit schließlich ein. Ich solle am nächsten Tag mit dem Stationsarzt und dem Leiter des Sozialdienstes die Modalitäten für die Entlassung besprechen. Dienstag, den 15. Oktober 2002 Meine Mutter und ich treffen die beiden Herren in der Klinik. Hier werden uns die Bedingungen für die Entlassung deutlich gemacht: Als erstes erklärt der Arzt, dass er meinen Vater nur dann entlassen wird, wenn ein anderer Kollege draußen die Verantwortung übernimmt. Der Hausarzt meines Vater ist gerade jetzt für zwei Wochen in Urlaub. Einen seiner beiden Vertreter für diesen undankbaren Job zu gewinnen, ist fast unmöglich - und das weiß der Mann sehr genau! Dann müssen wir einen Pflegedienst finden, der für den Patienten zumindest die medikamentöse Versorgung gewährleisten muss. Dies ist, wie ich an den folgenden Tagen erfahren werde, ähnlich schwierig, denn auch dabei lässt sich für die Pflegedienste nicht viel verdienen. Es wird die Patientenverfügung grundsätzlich kritisiert, weil nicht jede einzelne mögliche Behandlungsmethode explizit erlaubt oder ausgeschlossen wird. Die absolute Härte ist aber dann die Forderung, dass meine Mutter oder ich beim zuständigen Amtsgericht die vorläufige Betreuung für den Patienten beantragen müssen. Wörtlich: "In dieser Situation, wo es um eine schwierige Entscheidung bezüglich der medizinischen Weiterbehandlung Ihres Mannes geht - immerhin kann es sich hier um Tod oder Leben oder um schwerwiegende gesundheitliche Folgen für Ihren Mann handeln - können wir nicht sicher sein, dass Ihre alleinige Entscheidung ausreicht. Es ist also dringend anzuraten, dass Sie oder ihr Sohn einen gerichtlichen Entscheid über die Betreuung einholen. Früher nannte man das "Vormundschaft", heute sagt man "Betreuung". Dies dauert in der Regel 4 bis 6 Wochen. Wir können aber von hier aus einen Eilantrag stellen. Dann haben wir aus Erfahrung in zwei Tagen, also bis Freitag, den Entscheid. Ich empfehle, die Betreuung nur für die Bereiche "Gesundheitsfürsorge" und "Aufenthaltsbestimmung" zu beantragen. Denn wenn es auch um finanzielle Dinge, also das Vermögen der betroffenen Person geht, prüfen die Gerichte immer etwas länger. Dann ist ein Eilantrag praktisch nicht durchzubringen. Möchten Sie das übernehmen, oder meine Sie, dass Ihr Sohn das machen soll? Meine Mutter hat mir dann diese Aufgabe zugewiesen. Die folgenden Tage sind ausgefüllt mit Versuchen, die gestellten Aufgaben zu erfüllen. Inzwischen wird der Gesundheitszustand meines Vaters immer schlechter. Am Mittwoch hat er schon die vom Chefarzt vorausgesagte Lungenentzündung. An jedem Tag, den wir ihn besuchen, wird das gurgelnde Atemgeräusch schlimmer. Er ist aber immer für kurze Zeit ansprechbar, bevor er dann wieder einschläft. Donnerstag, den 17. Oktober 2002 Seit 9 Uhr versuche ich, einen der zuständigen Vormundschaftsrichter am Amtsgericht zu erreichen. Ich will wissen, ob der Arzt den Eilantrag wirklich abgeschickt hat. Erst um ca. 14 Uhr kann ich mit einem der Richter sprechen. Nach dem Eilantrag gefragt, wird er plötzlich sehr laut. Wörtlich: "Um Ihren Vater nach Hause zu lassen, brauchen die Ärzte keine solchen Umstände zu machen, das wissen die ganz genau! Wenn ihr Vater sich in einem Zustand befindet, in dem er nicht mehr schreiben kann, dann schreiben Sie seinen Willen auf und Ihr Vater muss nur noch seine Unterschrift leisten." "Das schafft er jetzt leider auch nicht mehr." "Dann nehmen Sie sich den zuständigen Arzt und gehen mit ihm zu Ihrem Vater. Fragen Sie Ihren Vater, ob er nach Hause gebracht werden will. Wenn er dann klar verständlich mit Ja antwortet - Sie sagten eben, dass er dies noch kann - oder wenn er auch nur noch deutlich mit dem Kopf nicken kann, dann hat ihn die Klinik unverzüglich zu entlassen!" Den Stationsarzt sehe ich am Nachmittag auf dem Flur. Er fragt mich laut nach dem Stand der Dinge. Ich wiederhole ihm ebenso laut die Worte des Richters, mit der Aufforderung, diesen anzurufen, um die Bestätigung einzuholen. Die Reaktion: "Wie komme ich als Arzt dazu, mich mit einem Richter zu unterhalten?" Ich verlange ein kurzes Gespräch in seinem Arztzimmer, während dessen er offen eingesteht, dass mein Vater leider sterben muss oder zum Langzeit-Pflegefall wird, weil das Personal keine Zeit hat, sich intensiv um einen solchen Patienten zu kümmern : "Es ist leider so: Wenn ein Patient so schlecht schlucken kann wie Ihr Vater, dann lässt sich das zeitlich überhaupt nicht in den Griff bekommen. Stellen sie sich vor, dass eine Schwester eine halbe Stunde benötigt, um einem Patienten ¼ Liter Flüssigkeit oder Nahrung einzuflößen. Dann müsste sie das mindestens sechsmal am Tag machen. Sie müsste also drei Stunden am Tag nur für diesen einen Patienten bereitstehen, um allein eine lebenserhaltende Menge an Nährstoffen zuzuführen. Für die Genesung eines Patienten ist in diesem Sinne weit mehr Zeit erforderlich. Und diese Zeit hat das Personal einfach nicht." Auf die Frage, warum man ihn unter diesen Umständen nicht nach Hause entlassen habe, wo er von seiner Frau und von einem Pflegedienst versorgt worden wäre, antwortet er lapidar: "Das entzieht sich meiner Kenntnis." Freitag, den 18. Oktober 2002 Bis Mittag schaffe ich es gegen allen Realismus, einen Pflegedienst zu finden und sogar einen Arzt, der die Verantwortung für meinen sterbenden Vater übernehmen wird! Damit habe ich den letzten Willen meines Vaters erfüllt, nämlich den schlichten Wunsch, nicht irgendwo anonym in einer Klinik, sondern in seinen eigenen vier Wänden sterben zu dürfen. Ein Krankentransport bringt ihn am Nachmittag nach hause. Am Samstagmorgen ist mein Vater tot. Laut Totenschein ist er "eines natürlichen Todes" gestorben.
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