Schicksal oder Arztpfusch?
Zwei Internetseiten bieten wichtige Informationen zur Selbsthilfe
Südkurier Nr.22, Samstag, 26. Januar 2002
Unabhängige Tageszeitung in Baden-Württemberg
Sonderbeilage Wochenend Kurier - GESUND & FIT
Medizinische Fehlbehandlung, verpfuscht für ein ganzes Leben? Was tun? Was man schon immer über ärztliches Versagen und über Kunstfehler wissen wollte, aber nie zu fragen wagte- zwei Internetseiten geben Auskunft. An der Notlage und dem Ausgeliefertsein der Patienten will ein
"privates Netzwerk Medizingeschädigter" Grundlegendes ändern.
"Ärztepfusch scheint es nicht zu geben. Man spricht verharmlosend von Kunstfehler, Schicksal, schicksalhaftem Verlauf, Einzelschicksal, Gott gewollt."
Ein Vater, dessen Sohn bei der Geburt zum Schwerbehinderten wurde.
Die selbst betroffenen Betreiber der Webseiten www.behandlungsfehler-arztpfusch.de und www.geburtsschaden.de stellen mehr als nur ergreifende Fallgeschichten und eigene Erfahrungen mit finanziellen und rechtlichen Miseren ins Internet.
Denn vor dem fälligen Arztbesuch flößt einem die innere Stimme das Gefühl der Sicherheit zwar ein: Fehler passieren selten und dann auch nur den anderen. Doch ist ungebrochenes Vertrauen in das Können der Ärzte wirklich angebracht - hat der Laie keine andere Wahl?
Bei vielen Patienten zeigt der Glaube an die Unfehlbarkeit der Medizin tiefe Risse. Manche haben sich bereits unter einer Kriegsflagge versammelt. Gegen Ärzte, die ihre Fehler nicht zugeben wollen und gegen eine Festung von Behörden muss man sich für einen harten Kampf wappnen. Aber wie?
Für Betroffene ist es nicht einfach, schnell an wichtige und gute Informationen zu kommen, obwohl diese bei den ersten Schritten einer möglichen Fehlbehandlung lebenswichtig sein könnten. Aber das Problem besteht auch später, wenn Patienten krank und eingeschüchtert den zermürbenden Kampf um Gerechtigkeit am liebsten nur noch aufgeben möchten.
Die Hilfesuchenden finden auf den beiden Webseiten www.behandlungsfehler-arztpfusch.de und www.geburtsschaden.de kostenlos Verweise auf Informationsquellen wie beispielsweise auf wichtige Adressen von Vereinen und Interessengemeinschaften medizingeschädigter Patienten. Internetlinks verbinden online mit Diskussionsforen von MDR und WDR. Eine Liste von Anwaltskanzleien für Patientenrecht soll die lange Suche nach der richtigen Person in Sachen Rechtsschutz verkürzen.
Der Zugang und der Einblick in Beispiele höchstrichterlicher Rechtsprechung öffnen auch die gutgläubigsten Augen: Hier besteht eine Schieflage im Gesundheitswesen. Der Geschädigte müsse selber den Pfusch nachweisen, was ohne einflussreiche Interessenvertretung gegenüber Ärzteverbänden, Krankenkassen und der Pharma - Industrie beinahe unmöglich sei, geht aus dem MDR - Ratgeber zu Patientenrechten hervor, der ebenfalls über die beiden Internetseiten erreichbar ist.
"Ärztepfusch scheint es nicht zu geben. Man spricht verharmlosend von Kunstfehler, Schicksal, schicksalhaftem Verlauf, Einzelschicksal, Gott gewollt" - steht in einem offenen Brief des Betreibers der www.geburtsschaden.de, dessen kleiner Sohn bei der Geburt zu einem Schwerbehinderten gemacht wurde.
Auch der dem Initiator der anderen Webseite hat ein bitterer Verlust dazu bewogen, Leidensgenossen ehrenamtlich Hilfe anzubieten:
Er verlor seine Frau im Alter von 36 Jahren infolge eines anerkannten Arztfehlers.
Starke Emotionen
Pech oder Politikum? Die Missstände in Krankenhäusern und die Überbelastung der vor allem jungen und unerfahrenen Assistenzärzte finden ihre Parallelen auf Seiten der Patienten. Die Betroffenen verlangen, dass die Problematik von medizinischen Fehlern ihrem Gewicht entsprechend behandelt werden und nicht als unwesentlich abgetan wird. Statistiken über ärztliche Fehlurteile führe man keine in Deutschland, oder man halte sie vor der Öffentlichkeit verschlossen, steht auf der Seite eines Rechtsanwaltes.
Den kühnen Versuch, den ewigen Widerstreit zwischen beiden berechtigten, aber in verschiedene Richtungen verlaufenden Diskursen aufzuheben, wagen die Betreiber nicht. Öffnet man die Seiten, ist man starken emotionellen Regungen ausgesetzt. Wer dies aushält und sich nicht im Gefühl des Ausgeliefertseins verliert, erfährt das Wichtigste:
Man mag zwar in Medizin unwissend sein, Rechte hat man trotzdem.