Ärztepfusch nur im eigenen Land verfolgt
Erfurt (TA)
Thüringen will ein Lücke im Gesetz schließen, mit der sich Ärzte für Berufsvergehen durch den Umzug in ein anderes Bundesland der Verantwortung entziehen können. Derzeit kann in mehreren Bundesländern Ärztepfusch nicht belangt werden, wenn er außerhalb der Landesgrenzen verübt wurde. Das bestätigte Norbert Scheitz, zuständiger Referatsleiter im Sozialministerium. Nach Abstimmung mit der Landesärztekammer soll deshalb eine Änderung des Heilberufegesetzes vorbereitet werden, die auch über Landesgrenzen eine Verfolgung von Ärztevergehen erlaubt. Der Freistaat strebt eine bundesweit einheitliche Regelung an. Anlass für die Initiative ist der Fall einer verstorbenen Oberhofer Patientin.
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Lücke im Gesetz
Ärztepfusch kann in Thüringen nicht belangt werden, wenn er außerhalb der Landesgrenze geschah
Wem ist schon bekannt, dass ein Arzt, der sich eines Berufsvergehens schuldig gemacht hat, in einem anderen Bundesland abtauchen kann? In Thüringen zum Beispiel könnte ein Mediziner aus Bayern durchaus Zuflucht finden, selbst wenn er in seiner Heimat mit Ahndung rechnen müsste. An dieser Rechtslage will das Thüringer Gesundheitsministerium nun jedoch rütteln.
Von Meinhild Römer
Erfurt
"Wir wollen so eine Regelung wie in Bayern aufnehmen", kündigt Referatsleiter Norbert Scheitz an, der die Rechtsaufsicht über die Thüringer Landesärztekammer hat. Ein Umzug in ein anderes Bundesland dürfe nicht künftig mehr dazu führen, dass sich ein Arzt seiner Verantwortung entziehen kann. Der 46-Jährige ist "optimistisch", dass der Landtag einen entsprechenden Beschluss fassen wird.
Zunächst müssten die Länder, die ebenso wie Thüringen dieses Leck im Arzt-Berufsrecht haben, für die Thematik sensibilisiert werden. Das wolle er zur nächsten Zusammenkunft des Berufs-Ausschusses im Herbst, an derVertreter aller 16 Länder teilnehmen, angehen, sagte Scheitz. Es ist das Ziel, "bundesweit eine einheitliche Verfahrensweise zu erreichen". Lediglich in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, in Niedersachsen, aber auch in Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es bisher ähnliche Regelungen wie in Bayern. Dort kann ein Arzt auf der Basis des Heilberufe-Kammergesetz selbst dann auch berufsrechtlich verfolgt werden, wenn die Verfehlung in einem anderen Bundesland begangen wurde.
Auch wenn Norbert Scheitz darauf verweist, "mehr konnten wir nicht machen", so ist seine Nachricht - das Thüringer Heilberufegesetz ändern zu wollen, damit sich deren Angehörige durch Umzug nach Thüringen nicht ihrer Verantwortung "für zuvor in einem anderen Kammerbereich begangene Berufsvergehen entziehen können" - zum Beispiel für Betroffene wie Elmar Kordes ein großer Erfolg. Der 45-Jährige aus Oberhof hatte eine Überprüfung dieser Rechts-Praxis angeregt. Hintergrund ist der Tod seiner Frau. Anja Kordes war im Jahre 2000 im Alter von 36 Jahren an den Folgen einer ärztlichen Fehleinschätzung gestorben. Das Verfahren gegen den pensionierten Chefarzt der Suhler Gynäkologie endete im Frühjahr vor zwei Jahren jedoch mit Einstellung.
Geblieben ist aber ein fader Beigeschmack: Denn der einst wegen fahrlässiger Tötung angeklagte Ulrich R. hatte die Patientin, deren extrem hohe Entzündungswerte er nicht abklären konnte, nicht in der Vollversorgung seiner Klinik behalten, sondern sie im lebensbedrohlichen Zustand im Februar 1997 in das Krankenhaus Hildburghausen verlegen lassen.
In diesem Prozess - und das war die Geburtsstunde der nun vom Ministerium angestrebten Änderung im Berufsrecht - keimte bei Elmar Kordes der Verdacht, dass eine Ärztin des Suhler Klinikums, die inzwischen nach Bayern verzogen ist, für R. gelogen hat. Wie sich später heraus stellen sollte, hatte sie wirklich nachträglich - zu dessen Verteidigungslinie passend - Begleitschreiben frisiert. R. behauptete nämlich, er habe Anja Kordes nicht - wie aber von der Staatsanwaltschaft bis zum Schluss angenommen - in die Psychiatrie, sondern für angeblich weiter gehende Untersuchungen in die Neurologie dieses Hauses überwiesen. Dass die Ärztin für R. manipulierte, ist - wenn auch für das Verfahren viel zu spät - belegt. "Nach Durchsicht der uns vorliegenden Unterlagen ergibt sich, das der in Rede stehende Arztbrief von Frau Dr. H. nachträglich geändert wurde", schreibt die Bayerische Landesärzte-Kammer am 27. Januar 2005 an Kordes. Er hatte die Kammer gebeten, ihm zu helfen, hatte seinen Verdacht mitgeteilt - nämlich, dass sich Ärztin H. möglicherweise nach Bayern absetzte, um hier nicht bestraft zu werden. Dass es genau anders herum ist, dass Bayern bestimmte Vergehen verfolgt und Thüringen nicht, erfuhr er erst im Zusammenhang mit diesen Recherchen. Dabei fiel Elmar Kordes die Uneinheitlichkeit im Berufsrecht auf Bundesebene überhaupt erst auf.
Deshalb wandte sich der Witwer an das Sozialministerium, um darauf aufmerksam zu machen. Ärztin H. hätte wegen erreichter Verjährungsfrist in Bayern nicht mehr bestraft werden können. Ihre vermeintliche Flucht war also deshalb eine falsche These.
Indes gibt es noch andere offene Fragen für Elmar Kordes. So existieren zwei Versionen der Notarzt-Protokolle vom 1. Februar 1997.
Das war der Tag, an dem Anja Kordes nach einer Totgeburt, unter extremen Schmerzen und mit Sehstörungen von ihrer Oberhofer Wohnung wieder in die Suhler Klinik gebracht worden war. Die Datenschutz-Behörde wollte, als Elmar Kordes sich an sie gewandt hatte, Einsicht in die Unterlagen der Suhler Rettungsstelle nehmen. Dies wurde bis zum heutigen Tag verweigert. Im 5. Tätigkeitsbericht der Behörde wird jener Vorfall als der "gravierendste Verstoß" gegen das Thüringer Datenschutz-Gesetz bezeichnet. Am Meininger Verwaltungsgericht ist noch eine Klage der Stadt Suhl gegen den Datenschutz anhängig.
Wenn all diese Bemühungen, die auf den thüringischen Ansprechpartner vom "Arbeitskreis Medizingeschädigter Bundesverband" e.V., Elmar Kordes, zurück gehen, seiner verstorbenen Ehefrau auch nichts mehr nützen, so kann er doch am 10. Oktober - an ihrem fünften Todestag - sagen, dass er seinem Versprechen, die Umstände ihres Todes aufzuklären, treu geblieben ist.