Herzattacke vor dem Urteil
Gynäkologe angeklagt
von G. Schupelius, J. Völkerling
Suhl - Wer kann dieses Leid ermessen? Anja Kordes aus Thüringen ist 36, erwartet ein Wunschkind. Doch es wird eine Totgeburt, in der 24 Woche. Das war am 23. Januar 1997. Anja Kordes bricht sie zusammen: Krämpfe im Bauch, 50 Prozent Erblindung, Arme und Beine gelähmt. Klinikum Suhl: Gynäkologen und Internisten finden nichts, schicken sie in die Psychiatrie. Warum? Hat der Chefarzt des Suhler Krankenhauses, Prof. Dr. Ulrich R., mit dieser Verlegung einen tödlichen Fehler begangen? Erst zwei Tage später kommt Anja Kordes in die Not-OP. Der Chirurg rauft sich die Haare: Ihr Darm ist schon lange nicht mehr durchblutet, teilweise abgestorben. Es folgen sieben Operationen, sechseinhalb Wochen Koma. Und Anja Kordes wird nicht mehr gesund. Ihr Martyrium dauert dafür noch drei Jahre: 230 Arztbesuche, sie ist zu 90 Prozent schwerbehindert, schreit vor Schmerz, nimmt immer mehr Morphium, kommt auf die Warteliste für Dünndarmtransplantation, stirbt am 10. August 2000.
Keinen Tag weicht Ehemann Elmar von ihrer Seite. „Dieser Arzt kann uns nicht trennen" schreibt er auf den Grabstein und verklagt Chefarzt Ulrich R. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen fahrlässiger Tötung, der Prozess beginnt. Parallel gründet Kordes mit einem Bekannten das „Netzwerk Medizingeschädigter" (www.geoffrey-mike.de), in dem sich „alle treffen können, die Opfer ärztlicher Fehler geworden sind".
Prozessende sollte Freitag- nachmittag sein. Doch es kam anders: Als im Gericht Einweisungsbelege vorgelegt werden, die dokumentieren, wie Anja Kordes vom Suhler Klinikum ins Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie nach Hildburghausen überführt wurde, greift sich der angeklagte Chefarzt urplötzlich an den Hals. Diagnose: Verdacht auf akute Herz-Rhythmus-Störungen.
Einen der Einweisungsbelege, die zu dieser Herzattacke führten, hatte die Kripo im Suhler Klinikum sichergestellt. Darauf steht etwas von der Notwendigkeit einer Bauchspiegelung. Die hätte Anja Kordes vielleicht das Leben retten können. Auf dem Durchschlag in der Hildburghausener Psychiatrie fehlt dieser Hinweis aber und noch einige andere Eintragungen, die auf dem Suhler Schein zu finden sind. Wurden Unterlagen manipuliert? Elmar Kordes hat Anzeige wegen Urkundenfälschung und versuchter Strafvereitelung erstattet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Am Donnerstag soll der Prozess fortgesetzt werden.
Artikel erschienen am 30. März 2003